Portrait: Ulf Mailänder

Ulf Mailänder                                            
Coach, Autor, Schauspieler (Jg. 1956)

Mittlerweile lebe ich 35 Jahre hier im Bergmannkiez und fühle mich dabei, als lebte ich in einem Dorf mitten in der Stadt.

Der Politik begegnete ich (Jg. 1956) zum  ersten Mal im Alter von zwölf. Da sah ich in der Tagesschau wild umherlaufende Demonstranten und brennende Barrikaden vor dem Berliner Springerhochhaus. Im Vergleich erschien die westfälische Provinz sehr öde. Ich beschloss, einer zu sein, der ein anderes Leben sucht. Die Einberufung zum Wehrdienst stand vor der der Tür. Ich verweigerte und ging nach Berlin.

Dort studierte ich Philosophie, Germanistik und Politologie an der Freien Universität Berlin. Die Hälfte der 14 Semester verbrachte ich mit Flugblattschreiben und Demonstrieren gegen Atomkraft, Wettrüsten und Wohnraumspekulation. Während ich in einem besetzen Haus lebte, dem Kunst und Kulturzentrum Kreuzberg ( KuKuCK) am Anhalter Bahnhof, wo heute eine Hotelkette eingezogen ist, erwarb ich 1982 den Magister der Germanistik und Politologie. Dann fand ich eine Stelle beim alternativen Verlag Stattbuch, der ein sehr populäres Verzeichnis aller alternativen Projekte dieser Zeit herausgab. Vom Redakteur wurde ich zum Geschäftsführer, wechselte dann zu einem kollektiven Buchvertrieb und ging schließlich als Aussteiger auf die Kanareninsel La Palma, wo ich vier Jahre lang von Kartoffeln und Avocados lebte und mich an Sonnenuntergängen labte.

Im Jahr der deutschen Wiedervereinigung  trieb ich mich ein halbes Jahr in Indien in diversen Ashrams herum, bis ich feststellte, dass ich nicht zum Wandermönch geboren war. Ich kehrte nach Berlin zurück und begann eine Zusatzausbildung zum Gestalttherapeuten. Ab 1995 hatte privat zahlende Klienten, schrieb Texte für Zeitungen, Studenten und Institutionen und arbeitete als Lektor für den Ullstein-Verlag.. Eines davon war der Wasserturm Kreuzberg. Dort gab ich eine Zeitschrift heraus für Lückekinder zwischen 12 und  15 – den Kidsblitz. Das war das erste Mal, dass ich mich im Kiez engagierte – denn die Gegend um die Bergmannstraße war mir in all den Jahren ans Herz gewachsen.
Als das Psychotherapeutengesetz in Kraft trat, firmierte ich mich zum Coach um – statt Kranke zu behandeln wollte ich lieber Freiberufler und Künstler bei ihrer persönlichen Entwicklung unterstützen.

Als Buchautor spezialisierte ich mich auf Hochstapler und Betrüger, schrieb u.a. die „Bekenntnisse eines Baulöwen“ mit Jürgen Schneider, aber auch ein Ratgeberbuch über die Vorteile der selbständigen Existenz. Ein weiteres Buch mit dem Hochstapler Jürgen Harksen war meine Eintrittskarte in die Theaterwelt – in fast 90 Aufführungen in 15 Ländern spielte ich seine Rolle in einer Produktion der Regiegruppe Rimini Protokoll: Karl Marx: Das Kapital Erster Band. 

Im Verein „Lange Tafel“ gehöre ich zu den Gründungsmitgliedern, bin Berater und „Dramaturg“ der Initiatorin und lektoriere Geschichten, die Schüler zu den wechselnden Themen der langen Tafeln verfassen. Manche nennen mich einen Kiezeuphoriker – weil ich es nicht lassen kann, die hiesige Bevölkerungsmischung für ein beispielhaftes Modell des Zusammenlebens verschiedener Kulturen zu rühmen. Eben weil man nicht sagen kann, wer hier eigentlich normal ist, ist es hier so anregend.